Beim 1:1-Unentschieden gegen Trabzonspor hat sich Fenerbahçe trotz langer Unterzahl einen verdienten Punktgewinn erkämpft. Das Thema nach dem Spieltag ist aber weniger diese respektable Leistung, sondern mehr die Diskussion um den Platzverweis von Irfan Can Kahveci. Der über die Social-Media-Kanäle verbreitete Frontal-Angriff auf den Schiedsrichter und den türkischen Fußballverband zeugt einmal mehr von mangelnder Professionalität und lässt fragen, warum Fenerbahçe in diese Opferrolle überhaupt schlüpfen muss?

Man stelle sich mal vor, Bayern München oder Borussia Dortmund würde während eines laufenden Spiels einen Tweet absetzen, in dem fett in Großbuchstaben um Gerechtigkeit appelliert wird, der Schiedsrichter des Spiels sowie dessen gesamtes vorstehendes Komitee aufs Schärfste kritisiert wird, und sich diese Haltung auch in den darauffolgenden Postings weiter fortführt. Was bei Top-Klubs – und wohl auch jedem anderen Verein in den europäischen Ligen undenkbar erscheint – gehört in der türkischen Süper Lig schon fast zum Tagesgeschäft. Zumindest dürfte die Social-Media-Offensive von Fenerbahçe gegen den türkischen Fußballverband im Rahmen des hochemotionalen Top-Spiels gegen Trabzonspor niemanden mehr wirklich überrascht haben.

Eine Rote Karte gegen Mittelfeldmann Irfan Can Kahveci in der 17. Spielminute nötigte Fenerbahçe zum Absetzen eines Tweets, der mittlerweile hunderttausendfach interagiert wurde. Der Inhalt darin: Anschuldigungen gegen den eingesetzten Schiedsrichter und den Verband sowie dem Verlangen nach Gerechtigkeit. Auch wenn es die "Kanarienvögel"-Anhänger, die jenen Tweet schnell zustimmend verbreiteten, nicht hören wollen – mit diesem Posting schlüpft Fenerbahçe in eine Opferrolle, die weder dem Klub noch den Geschehnissen am Sonntagabend in Kadıköy gerecht werden. Zum einen ist die Rote Karte für Irfan Can Kahveci nach einem unabsichtlichen, aber dennoch deutlichen und für den gegnerischen Spieler verletzungsgefährdeten Tritt auf den Knöchel vertretbar. Zum anderen spricht am Spieltag und auch dem Tag danach jeder nur über den Schlagabtausch im Netz als über den auf dem Rasen. Denn eines geht mit der von Fenerbahçe selbst ausgelösten Lawine nahezu komplett unter: Das Team von Ismail Kartal hat in rund 75 Minuten Unterzahl dem Tabellenführer einen großen Kampf geliefert und verdient einen Punkt errungen.

Fenerbahçes Social-Media-Entgleisung ist wohl gemerkt kein Einzelfall und schon gar kein Novum. Schon vorher in dieser Saison haben zum Beispiel die Stadtrivalen von Galatasaray und Besiktas ähnliche Bekundungen öffentlichkeitswirksam im Internet verbreitet, nachdem in Spielen (meist mit einer Niederlage einhergehend) der Eindruck entstanden ist, dass man vermeintlich benachteiligt wurde. Und ja, nicht selten ist die Regelauslegung der türkischen Schiedsrichter verbesserungswürdig – doch rechtfertigt das nicht ein solches Verhalten, wie es Fenerbahçe nun wieder an den Tag legte. Denn im Endeffekt wird so nur die ohnehin vorhandene Diskrepanz zwischen den Klubs und dem türkischen Fußballverband weiter vergrößert. Und in der Außenbetrachtung verliert man den letzten Funken Professionalität.