Fans fordern den sofortigen Abbruch der laufenden Saison. Klubs und Verbände planen ein abgeschottetes System zum Erhalt der Liga – und der Existenzen. Dass ein Wegfallen weniger Spiele derart drastische Konsequenzen nach sich ziehen würde, zeigt wie kaputt der ehemalige Volkssport ist. Eine Einordnung von LIGABlatt-Redakteur Mario Herb.
Das Wichtigste ist, dass wir die Gesundheit von denen in unserer Bevölkerung schützen, die es notwendig haben. Die Gesundheit steht über allem – dieser Konsens ist seit einigen Wochen von führenden Kräften des Fußballs zu hören, auch von Christian Seifert, dem Chef der Deutschen Fußball Liga – DFL – oder seinem türkischen Pendant, Nihat Özdemir. Im Hintergrund ist hinter vorgehaltener Hand aber klar: Der momentan ausgesetzte Spielbetrieb muss so schnell wie möglich wieder aufgenommen werden – ansonsten droht ein finanzielles Desaster, sowohl für die Verbände als auch für die Klubs.
Laut Medienberichten soll der Spielbetrieb der Süper Lig im Juni wieder aufgenommen werden. In der Bundesliga bereits am ersten Mai-Wochenende. Bis dahin werden die gesellschaftlichen Umstände in der Corona-Krise kaum besser sein. Betrachtet man die aktuelle Entwicklung der Fallzahlen, könnten es allein in Deutschland 200.000 Infizierte geben. In der Türkei dürften es aufgrund der rasanten Entwicklung nicht weniger sein. Deshalb forcieren Klubs und Verbände auch an, die verbleibenden Partien ausschließlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden zu lassen. Eigens abgeschottete Trainingslager für jede Mannschaft, vergleichbar mit den Trainingskasernen von Nationalmannschaften bei einer Weltmeisterschaft, sind sogar im Gespräch. So könnte die Mannschaft in einem isolierten Bereich trainieren und sich aufhalten. Selbstverständlich würde diese Regelung für den gesamten Zeitraum der Saison gelten; heißt in der Bundesliga von Anfang Mai bis circa Ende Juni. Besuch von Familien oder Angehörigen wäre ebenso gestrichen wie Medien-Termine für Journalisten. Jeder "Außenstehende" des Teams gefährde schließlich die "Insassen" im Isolations-Trainingscamp.
"Beendet die laufende Saison doch einfach"
Viele Menschen, die nicht unmittelbar mit dem Fußball in Verbindung stehen, fragen sich zurecht: "Muss das alles sein? Warum werden solche extremen Vorkehrungen überhaupt in Betracht gezogen? Beendet die laufende Saison doch einfach und nehmt euch ein Beispiel an anderen Sportarten!"
Liebe Sport-Romantiker, der Fußball – vorwiegend im europäischen Raum – hat sich schon vor Jahren jeglicher gesellschaftlichen Norm und der Basis einer ehemaligen Volkssportart entfernt. Prinzipien wie Moral, Ehre und Ethik sind in den Niederungen Milliarden schwerer Klubs kaum mehr vorhanden. Spielertransfers, TV- und Sponsorenverträge haben die Fußball-Blase dermaßen aufgebläht, dass ein Rückzieher – was im gesellschaftlichen Sinne das vernünftigste wäre – sie platzen lassen würde.
Die Großen würden überleben – alle anderen nicht
Allein in Deutschland drohen allein 13 der 36 Profi-Klubs nach Medienangaben die baldige Insolvenz. Dass es sich dabei vor allem um unterklassige Klubs handelt, die seit Jahren ohnehin verzweifelt versuchen, mit den Oberen des Sports zu konkurrieren und dafür Jahr für Jahr ins finanzielle Risiko gehen, ist tragisch, zeigt aber die Umstände im gegenwärtigen Fußball-Geschäft aufs Neue. Deswegen muss es den Klubs fast verziehen werden, wenn sie sich wünschen, dass die Saison nicht unterbrochen wird. Denn mit dem dann fehlenden Geldbetrag aus den TV-Einnahmen (eine dreistellige Millionensumme) würde es sie nicht mehr geben.
Die Gesundheit der Bevölkerung schützen ist wichtig. Aber für welchen Preis? Auch wenn es moralisch höchst unverantwortlich ist, so zeigt sich: Am Ende des Tages steht das Geld eben doch über der Gesundheit.
Foto: Arne Dedert / Getty Images