Am 24. August 2024 verlor Christoph Daum im Alter von 70 Jahren den Kampf gegen den Krebs. Er hinterlässt eine Ehefrau und vier Kinder. Mit ihm hat nicht nur die deutsche Fußballwelt eine Ikone verloren, sondern auch die türkische. Doch vor allem haben wir alle einen großen Mann und tollen Menschen verloren. Ein Nachruf von LIGABlatt-Redakteur Ove Frank.
Unter Bezugnahme auf den römischen Komödiendichter Plautus schrieb der englische Staatstheoretiker und Philosoph im 17. Jahrhundert: "Um es unvoreingenommen zu sagen, sind beide Sätze wahr: Der Mensch ist dem Menschen ein Gott; und der Mensch ist dem Menschen ein dreister Wolf." Auch wenn Hobbes hiermit auf die grundsätzlichen Unterschiede der Menschen im persönlichen Umgang miteinander im Vergleich zum staatlichen anspielt, fängt diese Aussage sehr gut die Dualität ein, die einen Christoph Daum in seiner ganzen Karriere und darüber hinaus auszeichnete.
Ein Vordenker des Trainerwesens
Beim 1. FC Köln stand Christoph Daum bereits in den 80er Jahren für eine neue Art des Fußballs. So wusste der damals noch junge Coach nicht nur, seine Schützlinge taktisch auf ein völlig neues Niveau zu hieven, er verkörperte auch einen neuen Ansatz des Trainerdaseins, einen, der mehr auf Empathie und Fürsorglichkeit fußte als auf Drill und Gehorsamkeit. Schon in seiner Diplomarbeit in Sportwissenschaften über die "Die Wichtigkeit und Bedeutung von pädagogischen und psychologischen Maßnahmen eines Fußballtrainers" machte Christoph Daum deutlich, wie wichtig doch ein menschlicher und empathischer Umgang mit seinen Spielern ist, um als Trainer im Profifußball Erfolg zu haben.
Mit Polarisierung zum Erfolg
Als Trainer impfte Daum seinen Spielern eine "Wir gegen den Rest der Welt"-Mentalität ein. Dabei scheute der Coach auch nicht davor zurück, sich in Interviews mit etablierten Größen wie Jupp Heynckes oder Uli Hoeneß heftige Wortgefechte zu liefern oder der Presse durch polarisierende Aussagen viel Angriffsfläche zu bieten. Dies sei für ihn in Ordnung gewesen, erklärte der gebürtige Zwickauer später, solange sich das mediale Echo auf ihn konzentrierte und seine Spieler in Ruhe ließ. Damit zeigte Daum bereits in den 80er und 90er Jahren ein Auftreten, was man heutzutage vor allem mit einem José Mourinho verbindet.
1992 mit dem VfB Stuttgart deutscher Meister
Mit seiner polarisierenden Art verscherzte Daum es sich aber auch mit der eigenen Vereinsführung, weshalb er beim 1. FC Köln trotz zweier Vizemeisterschaften nach langjähriger sportlicher Bedeutungslosigkeit der "Geißböcke" vor die Tür gesetzt wurde. Mit dem VfB sollte dann der große Wurf gelingen, als er mit den Schwaben 1992 die erste deutsche Meisterschaft seit acht Jahren feiern konnte.
Bei Beşiktaş und Fenerbahçe zur Ikone aufgestiegen
International für Aufsehen sorgte der Deutsche, indem er nach seinem Aus in Stuttgart nicht in Deutschland oder einer der großen europäischen Ligen in Italien, Spanien oder England anheuerte, sondern in der Türkei bei Beşiktaş. Mit den "Schwarzen Adlern" 1994 den türkischen Pokal sowie ein Jahr später die türkische Meisterschaft gewinnen konnte. In der Türkei gilt Christoph Daum bis heute als Ikone, da er auch bei Fenerbahçe 2004 und 2005 die türkische Meisterschaft gewinnen konnte und in der Öffentlichkeit als Brückenbauer zwischen Deutschen und Türken auftrat.
Das Gesicht von Bayer "Vizekusen"
Durch seine Erfolge in Istanbul gestärkt kehrte Daum 1996 zurück in die deutsche Bundesliga und unterschrieb bei Bayer 04 Leverkusen. Mit Bayer wurde Daum gleich dreimal Vizemeister, wodurch sich allmählich der Name "Vizekusen" etablierte. Besonders bitter wurde es in der Saison 1999/2000, als man am letzten Spieltag durch eine Niederlage beim Aufsteiger SpVgg Unterhaching eine Dreipunkteführung auf den FC Bayern München die erste deutsche Meisterschaft der Vereinsgeschichte verspielte.
Die Kokain-Affäre und der tiefe Fall
Trotz seiner sportlichen Erfolge – auch in Österreich bei Austria Wien konnte Daum 2003 das Double aus Meisterschaft und Pokal gewinnen – ist der Fußballlehrer bis heute vor allem wegen seines Kokain-Skandals bekannt. 2000 stand Daum bereits als designierter Bundestrainer fest, der nach seinem Engagement in Leverkusen beim DFB anheuern sollte. Durch wiederholte Aussagen von Uli Hoeneß, den mit Daum persönliche Animositäten verbanden, geriet Daum in Verdacht, Drogen zu konsumieren. Um seine bis dato beteuerte Unschuld zu beweisen, gab Daum Oktober 2000 gab Daum öffentlichkeitswirksam eine Haarprobe ab, da er ein "absolut reines Gewissen habe". Der Befund war positiv und Daum wurde nicht nur nicht Bundestrainer, sondern auch in Leverkusen entlassen.
Verantwortung für die eigenen Verfehlungen und für ein besseres Miteinander
Im Nachhinein ging Daum sehr offen mit seinen früheren Verfehlungen um und zeigte, wie man Trotz Fehlern in der Vergangenheit Größe zeigen und daraus lernen kann. So traf sich Daum beispielsweise nach früher getätigten homophob anmutenden Aussagen mit Vertretern des ersten Queer-Fanclub des 1. FC Köln "Andersrum-rut-wiess" und unterstützte diesen anschließend öffentlich unterstützte. Auch redete er seinen Kokain-Konsum nicht klein, sondern unterstrich mehrfach, dass es sich dabei um keine Nichtigkeit gehandelt habe. Bis zu seinem Tod war Daum sowohl in deutschen als auch in türkischen Stadien und TV-Shows ein gern gesehener Gast, der sich wiederholt für ein Miteinander sowohl auf dem als auch abseits des Rasens einsetzte und sich für Inklusion sowie gegen Rassismus stark machte.
Nicht nur an die Fehler erinnern!
Auch wenn es verlockend erscheint, sich vor allem an Christoph Daums Fehler und den medialen Umgang damit zu erinnern, so wünsche ich mir doch, dass wir fortan mehr seiner Leistungen, seiner Ideale und seines Vorbilds, auch nach schwierigen Zeiten zu wachsen und Verantwortung zu übernehmen, gedenken, denn letzten Endes wiegt dies schwerer. Und sollte nun eine höhere Instanz über ihn richten, so bin ich mir sicher, wird Christoph Daum tatsächlich mit "absolut reinem Gewissen" die Verantwortung für sein ganzes Leben tragen. In diesem Sinne: Ruhe in Frieden, Christoph Daum!
Foto: Andreas Rentz / Getty Images