Die Türkei und ihr chronisches Problem

Der Last-Minute-Schocker gegen Montenegro offenbarte altbekannte Probleme bei der "Milli Takım". Das Verspielen von komfortablen Führungen scheint bereits chronische Muster anzunehmen. Auch die Kritik um Şenol Güneş wächst, denn zum wiederholten Male patzt man gegen vermeintlich schwächere Gegner, was die Gruppe G nun vollends durcheinanderwürfelt.

"Und täglich grüßt das Murmeltier" – eine Redewendung, die im deutschen Sprachgebrauch für sich oft wiederholende, unangenehme Situationen etabliert hat, dürfte wohl den Auftritt der türkischen Nationalmannschaft im gestrigen WM-Quali-Spiel gegen Montenegro am besten beschreiben. Die Schmach aus der Euro 2020 wollte man voller Tatendrang vergessen machen, und die Wiedergutmachung schien für die "Milli Takım" zunächst auch nach Plan zu laufen, da man durch die Treffer von Ünder und Yazıcı auch völlig verdient bereits nach einer halben Stunde in Führung ging. Langjährige Anhänger der türkischen Nationalmannschaft, doch auch jüngere Fußballfans, sollten mittlerweile verstanden haben, dass eine komfortable Führung für die Türkei noch lange nichts zu bedeuten hat. Und auch am gestrigen Abend bestätigte sich einmal mehr das mulmige Gefühl, das in jedem türkischen Fußballfan nach einer Führung ausgelöst wird: Man stellte wieder das Fußballspielen ein, ließ die Montenegriner kurz vor der Pause durch den Anschlusstreffer ins Spiel kommen und kassierte dann kurz vor Schluss den Nackenschlag, weshalb man nun einmal mehr gegen einen vermeintlich leichteren Gegner unnötig Punkte liegen lässt. Dieser Prozess im türkischen Spiel gleicht fast schon einem Teufelskreis, denn bereits im Spiel gegen Fußballzwerg Lettland kam man nach ähnlichem Spielverlauf am Ende nur zu einem bitterem 3:3, weshalb das Last-Minute-Unentschieden gegen Montenegro bereits den zweiten Ausrutscher in der WM-Qualifikation bedeutete.

Kritik an Şenol Güneş wächst

Nach dem EM-Debakel zeigte sich Nationaltrainer Şenol Güneş selbstbewusst und versprach einen Neuanfang in der türkischen Nationalmannschaft. Doch nach dem erneuten Patzer gegen Montenegro werden die Stimmen gegen die türkische Nationalmannschaft, allen voran Güneş, keinesfalls leiser. Dass die Kritik der scharfen türkischen Medienlandschaft weiterhin präsent bleibt und mitunter wächst, überrascht keinen. Doch im Vodafone Park äußerten am gestrigen Abend auch die eigenen türkischen Fans auf den Rängen ihren Unmut in Form von Schmähgesängen, was für alle Beteiligten kein gutes Zeichen war. Im Nachgang der Partie darauf angesprochen reagierte Güneş fast schon stoisch und ordnete die Fangesänge der Fans als normale Reaktion im Fußball-Alltag ein, da es laut dem 69-Jährigen normal sei, dass die Fans bei einem schwachen Auftritt ihren Unmut äußern, genauso wie sie bei einem starken Auftritt applaudieren würden. Die Aussagen nach derartigen Auftritten scheinen sich immer zu wiederholen, immer sitzt das Bedauern über die verlorenen Punkte tief, da man aus der Überlegenheit eigentlich die Partie hätte frühzeitig für sich entscheiden sollen. Mit nunmehr fünf Pflichtspielen in Folge ohne Sieg verschärft sich die Ergebniskrise bei der "Milli Takım". Nach dem furiosen WM-Quali-Auftakt gegen die stärksten Gegner Niederlande (4:2) sowie Norwegen (3:0) gestaltet sich die Gruppe G nach den beiden Ausrutschern gegen Lettland und Montenegro, trotz Tabellenführung, völlig offen. Für Güneş wird es nun darauf ankommen, seine Mannschaft wieder in die Spur zu bringen. Ein deutlicher und überzeugender Sieg gegen Gibraltar am Samstagabend würde Ruhe in die Mannschaft bringen, die vonnöten sein wird, um dann im Kracher gegen die Niederlande zu bestehen.