Das Nationalauto-Konsortium „Turkey’s Automotive Initiative Group“ plant bis 2023 die Serienproduktion des türkischen Volksautos zu starten. Doch warum geht die Türkei eigentlich diesen Schritt? Ein Kommentar von LIGABlatt-Chefredakteur Dipl.-Ing. Fatih Şenel.
Nun, man muss die Entwicklungen und Wünsche in der Türkei sinnig kategorisieren. Das Projekt „National- oder Volksauto“ hat es natürlich nicht auf deutsche Premium-Hersteller abgesehen. Und keiner erwartet, dass die Türken plötzlich um die Ecke daherkommen und die Welt mit einem eigens auf den Markt gebrachten Fahrzeug erobern. Die Elektromobilität bietet der Türkei und den türkischen Unternehmen eine großartige Chance, um in einigen Jahren zumindest den Eigenbedarf abzudecken. So „national“ wie es in der Presse fälschlicherweise geschildert wird, ist das Autoprojekt allerdings nicht. Kompetente Zulieferer werden immer in die Autoprojekte involviert sein. Für die Türkei ist das kein Fremdwort. Das Land baut seit mehreren Jahrzehnten Fahrzeuge. Neuerdings plant Volkswagen ein Werk zu eröffnen. Die Türkei ist längst ein Autoland.
Die Türkei plant unterdessen erstmal mit einem elektrifizierten SUV-Modell die türkischen Megastädte zu versorgen. Eckdaten zum Elektromotor und zur Batterie gibt es noch nirgends zu lesen. Heute sind die einfachsten ausländischen Modelle im Land doppelt so teuer wie in Europa und werden stark besteuert. In Zukunft will man ein Großteil der Bestellungen auf das Nationalauto umlenken. Der Vorteil: wesentlich kürzere Wartezeiten für Besteller im Vergleich zu ausländischen Marken und natürlich der Preis. Den ersten Informationen zufolge, sollen Familien mit geringem und mittlerem Einkommen zum Genuss kommen können.
In der heutigen Welt spielt die Digitalisierung, Vernetzung und das Nutzererlebnis bei der Kaufentscheidung eine entscheidende Rolle. Mit dem anhaltenden Diesel-Skandal sind Kunden weltweit auch sensibler geworden und werden künftig konventionelle Lösungen mehr und mehr ablehnen – vorausgesetzt der Preis stimmt. Noch sind Elektroautos keine Schnäppchen. Ein schlichtes Auto mit genügend Reichweite und Gadgets wäre attraktiv. Für den einfachen türkischen Stadtbewohner würde eine Reichweite von 200 bis 300 Kilometern genügen. Hier ist nach wie vor die Problematik, dass die Türkei in Sachen Ladesäulen noch kein Programm vorgestellt hat. Aktuell ist die Infrastruktur bescheidener als in Deutschland. Reichweitenstarke Überlandfahrzeuge (bis 500 km) sind im zweiten Schritt geplant.
Die großen Aufgaben sind also längst bekannt, an den Lösungen arbeiten heute teilweise abgeworbene Ingenieure, die jahrelang bei namhaften Herstellern tätig waren. Rund drei Milliarden Euro wurden bereitgestellt, um die Serienproduktion bis 2023 realisieren zu können. Auf die Ergebnisse sind nicht nur die Türken gespannt.