Am vergangenen Freitag hat das Konsortium TOGG das ersehnte Prototyp des türkischen Elektroautos vorgestellt. Am Lenkrad steuerte Staatsoberhaupt Recep Tayyip Erdoğan das Elektro-SUV höchstpersönlich. Irgendwie wirkte die Vorstellung auf die Zuschauer als eine Art Fortsetzung der unvollendeten türkischen Automobilgeschichte. Vor gut 60 Jahren hatte das erste türkische Automobil – genannt "Devrim" – ein unwürdiges Ende gefunden. Heute sieht die Story ganz anders aus – vermutlich Hand in Hand mit hochspezialisierten Lieferanten. Ein Kommentar von LIGABlatt-Chefredakteur Dipl.-Ing. Fatih Şenel.
Auf das Jahr 2022 warten nun viele Türken. Die ersten inoffiziellen Vorbestellungen für das nationale Elektro-SUV sind offenbar getätigt worden – zumindest seitens staatlicher Institutionen. Ich bin allen voran darauf gespannt, ob man die angegebene Champions-League-Reichweite von 500 Kilometern wirklich erreichen wird. Hier ist die Frage, wer den komplexen elektrischen Antriebsstrang (eAT) liefert und welcher Hersteller die reichweitenstarke Batterie beisteuern wird. Vorstellbar wäre, dass die Türken mit einer koreanischen Firma kollaborieren.
Leider haben wir über etwaige hochspezialisierten Lieferanten bis dato nichts erfahren. Ob die Türkei es geschafft hat, mit abgeworbenen Ingenieuren und Branchenspezialisten den elektrischen Antriebsstrang hochgradig eigens zu entwickeln, steht für mich in den Sternen. So schnell ist vermutlich kein Newcomer-Automobilbauer, um die komplexeste Komponente des Elektroautos in Eigenregie binnen zwei bis drei Jahren marktreif zu entwickeln (!). Somit ist denkbar, dass starke Entwicklungspartner und Lieferanten das türkische Projekt pushen – was ja auch in der Automobilbranche völlig üblich und legitim ist. Nebenbei: Heutzutage beträgt im Premium-Segment die Quote der Eigenentwicklung lediglich 20 bis 25 Prozent. Nur weil Pininfarina die Karosserie entworfen hat, ist das türkische Auto ja kein italienisches Auto…
Gespannt bin ich auch auf den bald bevorstehenden NCAP-Crashtest.
Foto: TOGG/Hersteller
Zwei Dinge sind neben Safety und Reichweite hochkritisch, um das nationale Projekt gesund fortführen zu können. A) dem Kunden für 2022 und 2023 konkrete Liefertermine nennen und B) die Ladeinfrastruktur in den 81 Provinzen flächendeckend ausbauen. Und genau hier steckt der Teufel: Wer wird die Ladeinfrastruktur flächendeckend sukzessive ausbauen und wie hoch wird die Investitionssumme sein? Zu welchem Strompreis werden die TOGG-Kunden ihre Elektroautos aufladen können? Ich hoffe, dass die After Sales-Prozesse (Service, Reparatur, Ersatzteilverfügbarkeit etc.) ganzheitlich und allen voran kostenneutral für die Kunden durchdacht werden. Dabei darf nicht vergessen werden, dass das Land etliche qualifizierte Elektrofachkräfte sowie Serviceberater benötigt, um die Elektrofahrzeuge fachmännisch inspizieren zu können. Das alles gehört für mich zum Projektumfang "Nationales Elektroauto".
Die Türkei und das Konsortium TOGG müssen also noch viele Hausaufgaben erledigen. Nach dem für mich gelungenen Auftakt bin ich auf die Antworten der noch offenen Fragen gespannt. Sollte das noch namenlose Elektro-SUV sich im NACP-Crashtest bewähren, die praktische Reichweite von zumindest 300-350 Kilometern meistern und in Sachen Assistenz (Level 2) sowie Infotainment die Kunden erfreuen, so wird man 175.000 Autos pro Jahr (Produktionsvolumen) leicht und locker absetzen können.
Fazit: Die Automobilfachpresse hat über das türkische Elektro-SUV aktiv und detailliert berichtet. Ich denke, die Signale aus der Türkei sind klar angekommen. Das Projekt hat so manche Kritiker wachgerüttelt. Hier passiert etwas und zwar mit Milliarden und wie angekündigt Hand in Hand mit Spezialisten.